physio-akustisches Stimmkonzept für Sing- und Sprechberufe

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Kritischer Exkurs zum Thema Atemtypen

Wichtiger Hinweis:       Das  hier  veröffentlichte Material basiert  NICHT  auf der  lunar-solaren Atemkonzeption nach Kia/Schulze-Schindler/Hagena, sondern weist vielmehr auf die Forcierung der Stimmfunktion durch dieses Konzept hin. Das hier vorgestellte Atemtypenkonzept des Canto funzionale modifiziert das lunar-solare-Konzept

Thema: Atemtypen ( Copyright by M.Haas 01/2000)

Betrachtet man das menschliche Atemverhalten, so wird man zwei unterschiedliche Atemgrundtypen feststellen können. Verschiedene Autoren haben dies schon dargelegt. So unterscheidet man den „inspirationsdominanten- und den expirationsdominanten Atemtypus“.

Die gegensätzlichen Atemtypen sind gekennzeichnet durch die unterschiedliche Dominanz einer aktiven Einatmung bzw. einer aktiven Ausatmung. Dies bedeutet, ein aktives Einziehen oder Ausstoßen des Atems lässt sich beobachten.

Der inspirationsdominate Typ

Die aktive Einatmung prägt die Haltung des inspirationsdominaten Typs. Durch die Tendenz zur Hochatmung, entwickelt sich im Stand eine Disposition zum Hohlkreuz. Bei körperlichen Anstrengungen atmet der inspirationsdominaten Typ aktiv ein um seine volle Kraft entfalten zu können. Beim Gehen verschiebt sich die Haltung in das Gegenteil, es entsteht eine Disposition zum Rundrücken.

Der expirationsdominante Typ

Die aktive Ausatmung prägt die Haltung des expirationsdominaten Typs. Durch die Tendenz zur Forcierung der Ausatmung neigt er dazu das Brustbein einsinken zu lassen und im Stehen einen Rundrücken auszubilden. Bei körperlichen Anstrengungen atmet der expirationsdominate Typ aktiv aus um seine volle Kraft entfalten zu können. Beim Gehen verschiebt sich die Haltung in das Gegenteil, es entsteht eine Disposition zum Hohlkreuz.

!!! ACHTUNG !!! Die beschriebenen Atemgrundtypen benötigen für eine sängerische Atmung eine Atemstrommodifizierung ! ! !

Vorsicht! Die Autoren Kia/Schulze-Schindler/Hagena empfehlen dem Sänger seine Phonation ausschließlich im Grundatemtypus auszuführen. Dies geschieht in der irrigen Annahme dadurch eine maximale Kraftentfaltung der Stimme entwickeln zu können.

Hierbei wird aber übersehen, dass die Stimme in ihren unterschiedlichen Tonlagen eine unterschiedliche Beteiligung der schwingenden Stimmbandmasse aufweist, (Registrierung) die nur durch Modifizierung des Atemstroms regulierbar wird. Vorsicht! Die Beibehaltung des Grundatemmusters führt in der Mittellage zur Forcierung der Stimmfunktion.

Die permanente, lebensnotwendige „Alltagsatmung“ (mit ihrer Ausprägung der aktiven Ein- bzw. Ausatmung) „erzwingt“ eine spezifische Körperhaltung, die ihrerseits eine unterschiedliche Phonationsstellung der Stimmlippen hervorbringt. Dies bedeutet, dass die Stimmlippen in der Tendenz weiter nach oben bzw. nach unten ragen und somit der Einschwingvorgang der Stimmlippe bei der Phonation in mit unterschiedlicher Massebeteiligung erfolgt. der expirationsdominante Sängertyp singt tendenziell luftiger (kopfstimmiger), der inspirationsdominate Sängertyp neigt zu einer stark komprimierten Singweise (mittelstimmiger).

MODIFIKATION ->  Das physio-akustische „Appoggio“ <-

Aufgrund des unterschiedlichen Dämpfungsverhalten des Ansatzrohrs kommt es zu einem unterschiedlich starken Kompression der Glottis. Beim inspirations-- bzw. expirationsdominanten Typus jeweils mit entgegengesetzten Vorzeichen. Dies macht sich besonders im Strömungsverhalten des Atems an den sog. akustischen bzw. physiologischen Registerübergängen bemerkbar. Besonders kritisch sind die Übergänge bei es/f bzw. fis1/g1 in der Männerstimme, bei der Frauenstimme entsprechend eine Oktave höher. Der Atem bremst, bzw. beschleunigt und verursacht deshalb eine Irritation im Klang, im schlimmsten Fall entsteht ein Registerbruch. Dieses Problem lässt sich durch die Modifikation der Körperhaltung umgehen.

Haltungsmodifikation beim expirationsdominanten Typ:

Der expirationsdominante Typ wechselt von seinem Haltungsgrundmuster in das Gegenmuster In der tiefen Lage singt er vorwiegend in einer leicht nach vorn gebeugten Haltung, er unterstützt das Ausströmen der Atemluft aktiv (Bernoulliefekt ), ab dem „f“ richtet er sich auf, bremst damit die Luft ab. (Stellt somit die im streng klassischen Sinne geforderte Einatemtendenz her) Durch die Änderung der Haltung wird die natürliche Rückstellbewegung des Zwerchfells gehemmt (Luftverlangsamung). Ab dem „g1“ kehrt er in sein Grundatemmuster zurück. Durch die Änderung der Haltung wird die natürliche Rückstellbewegung des Zwerchfells unterstützt (Luftbeschleunigung).

Haltungsmodifikation beim inspirationsdominanten Typ:

Der inspirationsdominante Typ wechselt von seinem Haltungsgrundmuster in das Gegenmuster. In der tiefen Lage singt er in einer aufgerichteten Haltung, er verlangsamt den Luftstrom dadurch auf ein Minimum, ab dem „f“ gibt er seine Aufrichtung auf, beschleunigt dadurch die Atemluft (Bernoulliefekt). Ab dem „g1“ kehrt er in sein Grundatemmuster zurück.

Durch die Haltungsmodifikationen ist gewährleistet, dass an der Glottis der adäquate Luftruck für die jeweilige Registermischung anliegt. Tests mit Sängern unterschiedlichen Ausbildungsstandes belegen dies. In einer Begutachtung von Videomaterial international bedeutender Sänger und Sängerinnen, konnte festgestellt werden, dass ein großer Prozentsatz dieser Gesangskünstler ihre Haltung aufgrund der unterschiedlichen Lagenanforderungen intuitiv änderten.

Entgegen dieser dargelegten Erkenntnisse stütz sich Kia in seinen Betrachtungen den Atemtypus betreffend, auf Veröffentlichungen der Kinderärztin Hagena, die wiederum sich auf eine Veröffentlichung von Erich Wilk bezieht, und dessen ganzheitliches Typensystem bei ihm persönlich kennen gelent hat.

Wilk erkannte zwei entgegengesetzte Menschentypen, er bezeichnete diese als Statiker und Motoriker, beide haben einen konträren Stoffwechsel und sind für statische oder bewegliche Aufgabenstellungen unterschiedlich (konträr) begabt. Letztendlich resultiert aus dieser Veranlagung auch der unterschiedliche Atemtypus. Sowohl WIlk als auch Hagena haben sich nicht mit Stimmausbildung auseinandergesetzt

Da bei verschiedenen Registrierungen (physiologische Zusammensetzung der schwingenden Masse in den unterschiedlichen Stimmregistern) von Stimmlippen und Atemapparat unterschiedliche muskuläre Tätigkeiten verlangt werden, erscheint es zu kurzsichtig, die Typenlehre ausschließlich auf die Atmung anzuwenden. Dies wird umso deutlicher wenn man außerdem die verschiedenen, zur unterschiedlichen Registrierung notwendigen Atemströmungsgeschwindigkeiten in Betracht zieht. Ebenfalls müsste man im Sinne der Tonplatzierung (Stimmsitz) und aufgrund der unterschiedlichen Resonanzbezirke und deren akustischen Rückwirkung auf das Schwingungsverhalten der Stimmlippen nach dem Wilkschen Sytem andere Typisierungen aufzeigen.Ein wichtiger Punkt zur Typklassifizierung ist die gesungene Tonhöhe, in unterschiedlichen Tonlagen dominieren unterschiedliche Muskelgruppen, die sowohl statische als auch bewegliche Aufgaben repräsentieren.

( Copyright by M.Haas 01/2000)